Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe
Im Interview mit der Morgenpost Sachsen spricht Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann u. a. zum Bürokratieabbau, Gebäudetyp E, Asylrecht und zum besseren Schutz von Herkunftsbezeichnungen.
Datum 17. August 2024
Im Interview mit der Morgenpost Sachsen spricht Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann u. a. zum Bürokratieabbau, Gebäudetyp E, Asylrecht und zum besseren Schutz von Herkunftsbezeichnungen.
Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
Morgenpost Sachsen: Herr Buschmann, egal wo man hinkommt, überall beschweren sich die Menschen über zu viel Bürokratie. Wann wird das endlich besser?
Deutschland leidet unter einem Bürokratie-Burnout. Bürger, Betriebe, aber auch Behörden sind so erschöpft von dem Wust an Vorschriften, dass sie gar nicht mehr dazu kommen, sich mit der nötigen Energie um ihr Kerngeschäft zu kümmern. Die Bundesregierung hat daher im letzten Sommer auch schon eine wichtige Entscheidung getroffen. Mit dem Meseberger Bürokratieabbauprogramm haben wir das größte Paket zur Entlastung von bürokratischem Erfüllungsaufwand in unserer Geschichte auf den Weg gebracht.
Was umfasst das Programm?
Das Programm hat mehrere Bausteine. Dazu gehören das Wachstumschancengesetz, Erleichterungen im Bilanzrecht und das Bürokratieentlastungsgesetz IV. Wichtig ist mir vor allem aber eines: Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe. Diese Maßnahmen alleine beenden den Burnout nicht. Deshalb bereiten wir gerade unter anderem ein Jahresbürokratieabbaugesetz vor. Da sollen jedes Jahr Dinge reingepackt werden, die man abbauen kann. Aber eines kann ich Ihnen nicht ersparen …
Was denn?
Die vielen Regeln, unter denen wir leiden, kommen nicht nur aus Berlin. Der Bund und auch die Länder müssen ihre Hausaufgaben machen. Über die Hälfte der Bürokratielasten kommen jedoch aus Brüssel. Hier versuchen wir darauf einzuwirken, dass die neuen EU-Kommissare den Bürokratieabbau auch zu ihrem Projekt machen. Die EU muss anfangen, nicht immer nur Bürokratie aufzubauen, sondern auch abzubauen.
Sie sprachen von Bausteinen, die Ihr Ministerium und die Regierung schon umgesetzt haben bzw. gerade dabei sind. Von welchen sprechen wir konkret?
Mit dem Wachstumschancengesetz bauen wir etwa 1,5 Milliarden an bürokratischen Belastungen ab. Zudem bringt es etwa 1,5 Milliarden Euro an steuerlichen Entlastungen. Als zweites haben wir die Schwellenwerte im Handelsbilanzrecht für kleine und mittelgroße Betriebe geändert. Für die betroffenen Betriebe bewirkt das eine Entlastung von durchschnittlich 12.500 Euro pro Jahr.
Und Baustein Nummer drei?
Das ist das Bürokratieentlastungsgesetz IV. Das hat die Bundesregierung dem Bundestag vorgelegt, der es gerade berät. Hier geht es vor allem darum, der Zettelwirtschaft den Kampf anzusagen. Wir schaffen zum Beispiel lästige Hotelmeldebögen für Gäste mit deutscher Staatsbürgerschaft ab. Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass Steuerbelege nicht mehr zehn Jahre aufbewahrt werden müssen und ganze Archivräume füllen. Daneben sollen – so alle damit einverstanden sind – Arbeitsverträge auch vollständig digital geschlossen werden können. In Summe führen alle drei Bausteine zu einer Entlastung von über drei Milliarden Euro pro Jahr. Das ist schon ansehnlich, aber nochmal: Bürokratieabbau muss eine Daueraufgabe sein.
Schaffen Sie eigentlich all das, was Sie vorhaben, bis zur nächsten Wahl?
Beim Bürokratieabbau ist das meine feste Absicht. Da habe ich noch eine Menge vor: Dazu gehört der Gebäudetyp E. Fachleute schätzen, dass man damit Baukosten um bis zu zehn Prozent reduzieren könnte. Außerdem muss die Vereinfachung des Vergaberechts kommen. Das entlastet den Mittelstand und unsere Kommunen. Und ich möchte eine neue Tradition einführen: Jedes Jahr ein Jahresbürokratieabbaugesetz, um Bürokratieabbau zur Daueraufgabe zu machen. Das ist mein Ziel.
Thema Gebäudetyp E: Das Bauministerium sagt dazu, dass „Projektierer rechtssicher von Baustandards abweichen können“. Müssen wir jetzt Angst haben, dass uns neue Gebäude künftig auf den Kopf fallen können?
Nein, niemand muss davor Angst haben. Weiter gilt: Sicherheit zuerst. Die Änderungen betreffen nur sogenannte Komfortnormen. Das ist wie beim Autokauf: Jedes Auto, das ich kaufe, muss sicher sein. Es gibt aber Basis- und Luxusausstattung. Im Baurecht ist bisher jeder, der bauen möchte, mehr oder weniger gezwungen, immer die Luxusvariante zu wählen. Das führt dazu, dass sich viele das Bauen gar nicht mehr leisten können und zu wenig gebaut wird.
Sanierte Altbauten erfüllen diese Standards doch häufig auch nicht, oder?
Genau. Das zeigt: Nicht jede Komfortnorm ist den Menschen wichtig, um sich wohlzufühlen. Sie sollen daher selbst auswählen können. Das hilft auch Mietern: Wenn ich günstiger bauen kann, dann kann ich auch günstiger vermieten.
Reden wir bei Abstrichen beim Komfort beispielsweise von dünneren Wänden …?
Wir reden zum Beispiel von der Anzahl von Steckdosen, der Art von Heizkörpern, oder davon, ob die Fußbodenheizung im Badezimmer reicht. Sie müssen wissen, dass wir in Deutschland fast 3.000 DIN-Normen haben, die das Bauen betreffen. Da kommt richtig was zusammen.
Wann wird Gebäudetyp E an den Start gehen können?
Mit Bauministerin Geywitz bin ich mir einig, dass die Sache wichtig ist und schnell kommen muss. Aktuell befindet sich der Entwurf in der Länder- und Verbändebeteiligung. Das ist ein Verfahrensschritt, bei dem Bundesländer und betroffene Verbände eingeladen werden, zu den geplanten Regelungen Stellung zu nehmen und auch Verbesserungsvorschläge zu machen. Aber ich bin guter Dinge, dass wir den Gebäudetyp E im nächsten Frühjahr im Bundesgesetzblatt haben – vorausgesetzt, dass alle mitziehen.
Im Rahmen einer Initiative möchte Ihr Ministerium künftig regionale Handwerksbezeichnungen besser schützen. Was verbirgt sich denn dahinter?
Gerade für ein Bundesland wie Sachsen ist das ein wichtiges Thema. Der Freistaat ist weltweit berühmt für seine Produkte. So kennt jeder beispielsweise den Dresdner Stollen. Wer den kauft, kann sich darauf verlassen, dass er auch wirklich aus Dresden kommt. Denn: Für Nahrungsmittel gibt es schon den Schutz von Herkunftsbezeichnungen. In Sachsen gibt es darüber hinaus aber auch unglaublich berühmte Produkte wie das Meißner Porzellan, die Herrnhuter Sterne oder die Plauener Spitze, wo es diesen Schutz bislang noch nicht gibt. Das möchte ich ändern.
Erstaunlich, oder? Wo Deutschland doch immer so viel Wert auf sein Traditionshandwerk legt …
Ja, man wundert sich immer wieder! Aber genau deshalb haben wir für solche Manufakturprodukte ein Gesetz auf den Weg gebracht, damit auch hier die Herkunftsbezeichnungen europaweit besser geschützt werden können. Ich glaube, das ist für viele Produkte in Deutschland richtig gut, weil man sie überall wegen ihrer hohen Qualität schätzt. Das hilft dem deutschen Mittelstand im Wettbewerb gegen Billigkonkurrenz, die seine Produkte in schlechterer Qualität abkupfert und den Anschein erwecken möchte, als kämen sie auch aus Deutschland.
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Apropos Plakatieren: Sie sind ja beim Thema härtere Strafen, die Politiker und ihre Gehilfen dabei angreifen, eher skeptisch …
Wenn Menschen sich für unsere Demokratie engagieren oder ehrenamtlich für unsere Gesellschaft einsetzen, ist es natürlich schlimm, wenn sie angegriffen werden. Aber: Diese Angriffe sind heute schon strafbar. Es ist nicht so, dass es heute legal wäre, einen Menschen zusammenzuschlagen. Nehmen Sie den Fall Matthias Ecke: Innerhalb von 24 Stunden hat sich der Täter wegen des Fahndungsdrucks gestellt und die Mittäter waren identifiziert. Der Rechtsstaat funktioniert also. In Bereichen, wo Gewalt bewusst zur Einschüchterung eingesetzt wird, wollen wir Richterinnen und Richtern aber noch mehr Spielraum für eine angemessene Bestrafung geben.
Was muss sich Ihrer Meinung nach im Asylrecht ändern, damit Deutschland da besser aufgestellt ist – jetzt und in der Zukunft?
Wir sind ein Land, das Menschen in Not helfen möchte, aber auch unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Migration muss daher kontrolliert und gesteuert ablaufen, damit sie uns nicht überfordert. Wichtig ist, dass wir gemäß unseren Interessen differenzieren: Wer arbeiten kann und in der Lage ist, von seiner eigenen Hände Arbeit bei uns nach unseren Gesetzen zu leben, ist uns herzlich willkommen. Denn wir haben einen handfesten Arbeitskräftemangel. Wer sich in akuter Gefahr befindet, dem müssen wir helfen, solange die Gefahr auch wirklich besteht. Wer jedoch ohne Begründung zu uns kommt, um vom Sozialstaat zu leben, der muss so schnell wie möglich wieder gehen.
Was soll „dagegen“ getan werden?
Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen, die kein Recht haben, bei uns zu sein, erst gar nicht zu uns kommen. Insbesondere der Schutz der Außengrenzen der EU ist hier ein wichtiges Thema. Den Schutz unserer Grenzen haben wir im Vergleich zur Regierung Merkel deutlich gestärkt. Und wir müssen dafür sorgen, dass solche Menschen unser Land schneller wieder verlassen. Zudem hat die Bundesregierung bereits rechtliche Grundlagen geschaffen, um die Dauer der asylgerichtlichen Verfahren zu reduzieren. Mein Haus arbeitet derzeit an einer weiteren Reform des Verwaltungsprozesses. Ziel ist es unter anderem, Asylprozesse noch weiter zu beschleunigen. Außerdem haben wir als Koalition den Ländern Instrumente an die Hand gegeben, um ausländische Straftäter zukünftig schneller abzuschieben. Und erst kürzlich hat die Bundesregierung die Ausweisungstatbestände in Fällen von Terrorismusverherrlichung verschärft. Das Thema steht bei uns ganz oben auf der Prioritätenliste. Das muss dann auch einfach mal gemacht werden – sprich: die neuen Rechtsgrundlagen muss man auch praktisch anwenden.
Also einfach mal machen?
Genau, und auch mit alten Tabus brechen. Beispielsweise haben wir jahrelang wegen der Gefährdung in Syrien niemanden dorthin abgeschoben. In der Vergangenheit gab es dafür auch gute Gründe. Doch kürzlich hat das OVG Münster entschieden, dass der Satz in seiner Pauschalität nicht mehr stimmt. Es gibt Landesteile in Syrien, in denen viele Menschen sicher leben. Daher kann man dorthin auch grundsätzlich abschieben. Wir sollten hier alle Spielräume ausnutzen, die uns unser Recht lässt.
Was sagen Sie als Justizminister zum Thema Ruanda und der Drittstaatenlösung?
Der Name Ruanda löst immer falsche Assoziationen aus. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Idee, Asylverfahren in anderen Ländern durchzuführen, in denen die Durchführung und die menschenwürdige Unterbringung günstiger möglich sind als in Deutschland. Wenn die einschlägigen rechtlichen Standards dabei eingehalten werden, spricht aus meiner Sicht nichts dagegen. Zu der Idee hat die Bundesregierung schon mehrere Expertenanhörungen durchgeführt. Ziel sollte es sein, eine realistische Einschätzung zu erhalten, ob eine Auslagerung möglich und sinnvoll zu machen ist. Dafür wäre es auch gut, im europäischen Recht noch ein, zwei Stellschrauben nachzuziehen.
Und wie findet man solche Länder, wo alle Standards dann passen?
Sie legen den Finger in die Wunde. Das eine sind die rechtlichen Themen. An denen können wir gemeinsam arbeiten. Das andere ist natürlich, dass es ein Land außerhalb der EU braucht, das sich dazu bereit erklärt. Und dieses Land wird nur dazu bereit sein, wenn es am Ende nicht auf den Kosten sitzen bleibt und möglicherweise darüber hinaus noch Vorteile erhält. Das ist aber auch keine völlig unüberwindbare Hürde. Wir haben in Migrationsfragen die Erfahrung gemacht, dass bei vernünftigen Gesprächen auf Augenhöhe beide Seiten profitieren können.
Zum Beispiel?
Viele Staaten wünsche sich Arbeitsvisa unter erleichterten Bedingungen für ihre Bürger. Das kann auch in unserem Interesse sein, wenn die betroffenen Personen so qualifiziert sind, dass wir sie gut brauchen können. Das könnte ein Hebel für Win-Win-Situationen sein. Aber am Ende ist das eine ganz individuelle Verhandlungssache.