„Niemand will einen Orwell’schen Überwachungsstaat“
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der FUNKE Mediengruppe u.a. über Sicherheitskonzepte für die EM und das Quick Freeze Verfahren.
Datum 18. Mai 2024
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der FUNKE Mediengruppe u.a. über Sicherheitskonzepte für die EM und das Quick Freeze Verfahren.
FUNKE: Herr Buschmann, freuen Sie sich auf die Fußball-EM?
Dr. Marco Buschmann: Klar, das wird ein großes Fußballfest. Ich will versuchen, zumindest ein Spiel in meiner Gelsenkirchener Heimat im Stadion anzuschauen.
Ist das Team von Julian Nagelsmann stark genug für den Titel?
Wenn die Elf so spielt wie zuletzt beim 2:0 gegen Frankreich, dann ist alles drin.
Sind Sie dafür, Sperrstunde und Nachtruhe zu verschieben, damit die Fans länger feiern können?
Wir sollten uns als gute Gastgeber präsentieren. Dazu gehört auch eine gewisse Liberalität. Wenn Europa bei uns zu Gast ist, würde es mich freuen, wenn die Verantwortlichen bei der Sperrstunde möglichst großzügig vorgehen. Entscheidend ist, dass die Menschen friedlich feiern.
Auch Hooligans und Krawalltouristen werden sich auf den Weg nach Deutschland machen. Mit welchem Empfang dürfen sie rechnen?
Bei solchen Großereignissen gibt es immer eine kleine, aber lautstarke Minderheit, die Streit sucht. Darauf muss die Polizei mit einem guten Sicherheitskonzept vorbereitet sein. Und wenn es zu Körperverletzung, Sachbeschädigung oder anderen Delikten kommt, müssen Täter identifiziert, Beweismittel gesichert und Strafen schnell verhängt werden. Wir haben einen sehr weiten Strafrahmen, um Hooligan-Gewalt zu begegnen, den die Gerichte nutzen können.
Die USA haben ihre Terrorwarnung für Deutschland verschärft, ihre Staatsbürger zu erhöhter Vorsicht ermahnt. Wie groß ist die Gefahr, dass Terroristen bei der EM zuschlagen?
Bei großen, internationalen Turnieren besteht immer eine erhöhte Terrorgefahr - nicht nur in Deutschland. Hundertprozentige Sicherheit kann es nie geben. Aber es ist doch klar, dass unsere Sicherheitsbehörden alles tun, was in ihrer Macht steht, um eine sichere EM zu gewährleisten.
Der afghanische Ableger der Terrormiliz IS ruft ganz konkret zu Anschlägen auf die Stadien in Dortmund, München und Berlin auf. Wie ernst nehmen Sie das?
Das ist der Versuch der Terroristen, ein Klima der Angst zu erzeugen und unsere Rechtsordnung und unsere Gesellschaft unter Druck zu setzen. Natürlich nehme ich das erst, vertraue aber auf die Sicherheitsbehörden in unserem Land. Wir lassen uns unseren Alltag und unsere Lebensfreude nicht nehmen.
Wie wirken sich die Kriege in der Ukraine und in Nahost auf die Sicherheit der EM aus?
Der russische Angriffskrieg und die Situation in Gaza verschärfen die Sicherheitslage auch bei uns. Erst im April hat der Generalbundesanwalt zwei deutsch-russische Staatsangehörige festnehmen lassen, die Anschläge auf die deutsche Infrastruktur geplant haben sollen. Mit Sabotageakten müssen wir weiterhin rechnen. Vom Konflikt in Nahost geht noch eine etwas andere Gefahr aus.
Inwiefern?
Seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel ist die Stimmung auch hierzulande aufgeheizter. Jüdische Einrichtungen sind seither - noch stärker als früher - Angriffen und Bedrohung ausgesetzt. Auch die Hamas soll Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland geplant haben. Wir müssen deshalb eine besondere Wachsamkeit an den Tag legen.
Deutschland weitet zur EM die Grenzkontrollen aus. Bietet das wirklich Schutz?
Wir haben die Binnengrenzkontrollen ja schon erhöht und sehen einen sehr positiven Effekt, gerade bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Wir erschweren auch denen das Handwerk, die Waffen oder Sprengstoff ins Land bringen wollen. Grenzkontrollen können ein wirkungsvolles Instrument sein, um ein Großereignis wie die Fußball-EM sicherer zu machen.
Ermittler vermissen die Vorratsdatenspeicherung …
Es ist kinderleicht, ein Handy so einzustellen, dass man im Netz keine relevanten Spuren hinterlässt. Dann läuft die Vorratsdatenspeicherung ins Leere. Terroristen wissen das. Dass man ausgerechnet Terroristen mit diesem Instrument das Handwerk legen kann, ist daher nicht sehr plausibel. Die frühere Vorratsdatenspeicherung war außerdem grundrechtswidrig, das darf nicht vergessen werden. Wir führen mit Quick Freeze – dem anlassbezogenen Einfrieren von Verbindungsdaten – nun ein neues Instrument ein, das wirksam und rechtssicher sein wird. Das ist die bessere Lösung – für Freiheit und Sicherheit.
Sicherheitspolitiker fordern mehr Videoüberwachung - auch mit Gesichtserkennung. Halten Sie davon genauso wenig?
Niemand will einen Orwell’schen Überwachungsstaat, in dem man seine Wohnung nicht mehr verlassen kann, ohne erfasst zu werden. Ich bin gleichwohl der Auffassung, dass an Kriminalitätsschwerpunkten unter bestimmten Voraussetzungen durchaus mit Videoüberwachung gearbeitet werden kann. Zur EM sehe ich bei der Videoüberwachung - erst recht bei der biometrischen - keinen gesetzlichen Handlungsbedarf.
Kurz bevor das Eröffnungsspiel angepfiffen wird, sind die Bürger am 9. Juni aufgerufen, das Europäische Parlament neu zu wählen. Im Wahlkampf werden demokratische Politiker - Franziska Giffey, Matthias Ecke, Katrin Göring-Eckardt - bedroht und überfallen. In der Slowakei wird der Regierungschef niedergeschossen und überlebt nur knapp. Woher kommt der Hass?
Wir leben in einer Zeit der Krisen und der Verunsicherung. Krieg in Europa und in Nahost, Energiekrise, davor die Pandemie: All das hat dazu beigetragen oder trägt dazu bei, dass der Stress in der Gesellschaft größer geworden ist. Und es gibt Kräfte im In- und Ausland, die Öl ins Feuer gießen. Ich will allerdings klar sagen: Auch der größte Stress rechtfertigt keine Gewalt. Und noch eine andere Sache ist mir wichtig…
… die wäre?
Es wird mitunter der Eindruck erweckt, unser Strafrecht schütze nur lückenhaft vor gewaltsamen Übergriffen. Das muss die Menschen natürlich verunsichern. Dabei gibt es dafür keinen Grund: Die körperliche Unversehrtheit ist im Strafrecht umfassend geschützt. Entscheidend ist dann auch hier, dass es bei Straftaten schnell zu einer Anklage kommt.
Wollen Sie sagen, die Forderung nach schärferen Gesetzen ist aus der Luft gegriffen?
Bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme liegt das Heil nicht alleine im Strafrecht. Es gibt bei physischer Gewalt jedenfalls keine offensichtlichen Strafbarkeitslücken. Hier geht es in der Praxis eher um Vollzugs- als um Gesetzesdefizite. Das beste Strafgesetz nützt nichts, wenn die Aufklärungsquoten niedrig sind. Denn dann geht jeder Abschreckungseffekt verloren, egal wie weit der Strafrahmen reicht. Wir müssen uns zudem mit der Frage beschäftigen, warum mehr Menschen meinen, dass Gewalt ein legitimes Mittel der Konfliktbereinigung sei. Wir brauchen intelligentere Konzepte als nur immer höhere Strafen.
Sachsen hat im Bundesrat eine Initiative auf den Weg gebracht, Stalking von Politikern unter Strafe zu stellen. Ist Ihnen das nicht intelligent genug?
Wir werden uns den Vorstoß genau anschauen. Ich warne aber davor, den Eindruck zu erwecken, dass Politiker sich ganz allgemein vor der eigenen Bevölkerung fürchten müssen.
Werden Sie nicht bedroht?
Ich könnte von Vorfällen berichten, die ich niemandem wünsche, aber ich trage diese Dinge nicht an die Öffentlichkeit. Wer einen Politiker bedroht, macht sich heute schon strafbar. Wir sollten nicht so tun, als ob der Rechtsstaat wehrlos wäre.
Warum sagen Sie nicht, was Sie erleben?
Ich möchte niemanden zur Nachahmung motivieren. Fachleute gehen davon aus, dass bestimmte Tätergruppen bereits die öffentliche Thematisierung ihres Verhaltens als Erfolg betrachten, der somit wie ein Anreiz wirkt.