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„Moskau an Kosten des Wiederaufbaus beteiligen“

Der Bundesjustizminister spricht sich dafür aus, eingefrorene russische Währungsreserven für den Wiederaufbau zu verwenden, ist aber gegen eine Beschlagnahmung privater Vermögen.

Datum 27. Mai 2022
Interviewer Heike Anger, Volker Votsmeier

Der Bundesjustizminister spricht sich dafür aus, eingefrorene russische Währungsreserven für den Wiederaufbau zu verwenden, ist aber gegen eine Beschlagnahmung privater Vermögen.

Herr Minister, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon ein Vierteljahr. Blicken wir auf die Sanktionen. Warum kann das Vermögen russischer Oligarchen hierzulande zwar eingefroren werden, die Villen und Jachten dürfen Putins Unterstützer aber weiterhin nutzen?

Dieser Krieg ist auch eine Auseinandersetzung zwischen Autoritarismus und liberaler Demokratie. Wenn Russland das Recht mit Füßen tritt, dürfen wir bei unserer Reaktion darauf nicht unsere rechtsstaatlichen Maßstäbe absenken. Wir verteidigen das Prinzip des Rechtsstaats nur, wenn wir es selbst hochhalten. Das ist uns in Deutschland auch deshalb wichtig, weil wir die historischen Erfahrungen zweier Diktaturen gemacht haben. Daher müssen wir bei der Umsetzung der Sanktionen auch unser Verfassungsrecht und europäisches Recht beachten.

US-Präsident Biden hat ein Konzept vorgelegt, wie das beschlagnahmte Vermögen von Oligarchen für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden kann. Auch die EU-Kommission macht dazu nun Vorschläge. Wie sehen Sie das?

Wir müssen die europäischen Sanktionen so durchsetzen, wie sie zunächst beschlossen wurden. Es gibt aber auch Ideen, darüber hinaus zu gehen, also beispielsweise das Vermögen der Oligarchen zu entziehen und für andere Zwecke einzusetzen. Eine solche Einziehung müsste die Vorgaben des Grundgesetzes und des Europäischen Rechts wahren. Es wäre ja wenig gewonnen, wenn man jemandem ein Schiff wegnimmt, aber den Wert ausgleichen müsste. Denn Enteignungen müssen nach dem Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Europäischen Grundrechtecharta entschädigt werden. Die jetzt veröffentlichten Vorschläge der EU-Kommission werden wir uns deshalb genau ansehen.

In Italien kann der Staat nach dem Vorbild der Mafia-Bekämpfung relativ leicht das Vermögen von Oligarchen beschlagnahmen und sogar verwerten.

In Deutschland haben wir die Möglichkeit der Vermögensabschöpfung. Die lässt das Bundesverfassungsgericht zu, weil es sagt: Das Vertrauen in den Fortbestand unredlich erworbener Rechte ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. Was illegal ist, muss dann allerdings gerichtlich festgestellt werden. Diese Feststellung erfolgt im Anschluss an ein Strafverfahren. Die Nennung auf einer Sanktionsliste selbst kann ein Strafverfahren nicht ersetzen.

Aber Strafrechtsprozesse gegen die Oligarchen sind doch überhaupt nicht in Sicht. Die leben hier also unbehelligt weiter?

Nein, wir frieren ihr Vermögen ein, und wir sorgen dafür, dass sie darüber nicht verfügen können. Oligarchen können ihre Immobilie nicht verkaufen und das Geld dann in Sicherheit bringen. Und wenn wir feststellen, dass diese Leute hierarchisch eingebunden sind, etwa in Anweisungen, die zu Kriegsverbrechen führen, haben wir natürlich auch strafrechtliche Möglichkeiten.

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat die Privilegien von Altkanzler Gerhard Schröder gestrichen. Ein richtiger Schritt?

Ja. Gerhard Schröder hat den Zeitpunkt verpasst, um die Verbindung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Machtapparat, der ganz eng mit dem Unternehmen Rosneft verbunden ist, zu kappen. Er wirkt wie eine Art deutscher Anwalt oder Sprachrohr von Putin. Er hat damit nicht nur sich einen immateriellen Schaden zugefügt. Dieser Schaden trifft leider auch unser Land, weil es um einen ehemaligen deutschen Bundeskanzler geht.

Schröder hat schon über seinen Anwalt angekündigt, dass er gegen die Schritte vorgehen wird. Wie bewerten Sie das aus rechtlicher Sicht?

Ich halte die ergriffenen Maßnahmen für richtig und auch für rechtssicher. Es ist das gute Recht von Gerhard Schröder, sich dagegen juristisch zu wehren. Denn wir sind ein Rechtsstaat, und das unterscheidet uns von Russland. Ich glaube aber, er wird keinen Erfolg damit haben.

Das EU-Parlament hat sich dafür ausgesprochen, den Altkanzler auf die EU-Sanktionsliste gegen russische Oligarchen aufzunehmen. Dann könnten seine in der EU vorhandenen Vermögenswerte eingefroren werden. Was halten Sie davon?

Auf der Sanktionsliste stehen viele Oligarchen, die maßgebliche Architekten und Strippenzieher im aggressiven Putin-System sind. Ich halte Gerhard Schröders Verhalten für sehr kritikwürdig, aber ihn selbst nicht für ähnlich einflussreich wie diese Leute. Man sollte bedenken, dass man hier durch eine mögliche Gleichsetzung nicht eine gewisse Unwucht erzeugt.

Was ist mit dem Vermögen der russischen Zentralbank in Milliardenhöhe, das westliche Länder gesperrt haben? Was halten Sie von den Forderungen, diese Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine einzusetzen?

Ich bin dafür grundsätzlich offen, weil es um Mittel des russischen Staates geht. Wir sind also nicht im Bereich der Eigentumsgarantie, die bekanntlich nur Private schützt. Es wäre ein ungewöhnlicher Schritt. Aber der russische Staat verstößt gegen fundamentale Regeln des Völkerrechts und nimmt auch massive Schäden an Leib und Leben außerhalb der Ukraine in Kauf.

Sie denken etwa an die drohende weltweite Hungerkatastrophe infolge des Ukrainekriegs?

Genau. Daher ist es richtig, dass die Völkergemeinschaft sich überlegt, ob und wie der Aggressorstaat daran beteiligt werden kann, diese Schäden wenigstens zu reduzieren. Dieser Gedanke ist dem Recht auch nicht fremd. Wir nennen es das Verursacherprinzip.

Wie könnte das aussehen?

Für die Beschlagnahme der russischen Währungsreserven müssten konkrete Modelle auf der internationalen Ebene gefunden werden. Ich bin gespannt, was da entwickelt wird.

Der deutschen Regierung wird „Zaudern“ in der Ukrainepolitik vorgeworfen. Handelt Deutschland nicht entschlossen genug?

Wir handeln entschlossen. Etwa in dem Bereich, für den ich Verantwortung trage. Dort geht es um die Verfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine und die Aufgaben des Generalbundesanwalts. Wir haben eine der ersten Anklagebehörden der Welt, die ein Strukturermittlungsverfahren eingeleitet haben. Wir sammeln und sichten systematisch Beweise für Kriegsverbrechen in der Ukraine mit dem Ziel, die Kriegsverbrechen anzuklagen, wenn wir der Beschuldigten habhaft werden. Innerhalb der EU haben wir uns darauf geeinigt, die Ermittlungen stärker international zu koordinieren. Ich bin demnächst auch bei meinem Amtskollegen in den USA, um zu besprechen, wie wir die Zusammenarbeit noch verbessern können. Wir wollen alle Kräfte bündeln, um diese schlimmen Verbrechen nicht ungesühnt zu lassen.

Und der Gesamteindruck?

Wir haben als Bundesregierung insgesamt zügig und entschieden reagiert. Wir haben Grundsätze der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik in relativ kurzer Zeit verändert. Wir liefern Waffen in ein Kriegsgebiet, weil die Ukraine einen legitimen Selbstverteidigungskrieg gegen einen völkerrechtswidrigen Angriff führt. Wir organisieren finanzielle und zivile Hilfe. Wir haben darauf gedrungen, scharfe Sanktionspakete auf den Weg zu bringen. Finanzminister Lindner hat innerhalb der G7 auch die Erweiterung der Sanktionsliste vorangetrieben. Wir lassen an unserer Entschlossenheit keinen Zweifel aufkommen.

Zuletzt gab es viel Kritik an der Kommunikation von Bundeskanzler Olaf Scholz.

Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich werde dem Bundeskanzler als Regierungsmitglied keine öffentlichen Empfehlungen aussprechen. Das gehört sich nicht– und er braucht das auch nicht.

Aber die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann darf das?

Frau Strack-Zimmermann ist eine Stimme des Parlaments. Das ist eine andere Rolle. Der Bundestag ist dazu da, die Regierung zu kontrollieren und auch anzuspornen. Auch da hat jeder seinen eigenen Stil.

Auch wenn zuweilen der Eindruck entstehen mag, der Ukrainekrieg mache den Koalitionsvertrag zur Makulatur: Die Ampel hat in der Rechtspolitik angekündigt, die Unternehmenssanktionen zu verschärfen, wenn aus einer Firma heraus Straftaten verübt werden. Wie ist hier der Stand?

Zunächst einmal ist für mich der Koalitionsvertrag nicht Makulatur. Ich versuche, in meinem Bereich die Projekte mit hoher Energie voranzutreiben. In der Sache: Ich fand es schon in der Vergangenheit falsch, ein spezielles Regelwerk für Unternehmenssanktionen zu schaffen.

Warum?

In Deutschland arbeiten wir nach dem Prinzip des Schuldstrafrechts. Ich persönlich hatte immer die Sorge, dass wir zu nachlässig bei der Aufklärung werden, welche Personen die kriminelle Energie aufgebracht haben und damit die persönliche Schuld tragen, wenn wir vorrangig oder gar ausschließlich das Unternehmen als solches sanktionieren. Wir werden deshalb Veränderungen innerhalb des bestehenden Systems der Ordnungswidrigkeiten durchführen und mehr Rechtssicherheit für die unternehmensinternen Ermittlungen schaffen.

Also höhere Bußgelder für Unternehmen?

Für die allermeisten Unternehmen sind die bestehenden Grenzen von zehn Millionen Euro Bußgeld schon ein sehr empfindlicher Rahmen. Aber in Zeiten des globalen und digitalen Kapitalismus gibt es natürlich auch Unternehmen, für die das vernachlässigbare Beträge sind. Da muss es um andere Summen gehen.

Wann soll das kommen?

Im Jahr 2023 wollen wir das Straf- und Strafprozessrecht systematisch überarbeiten. Dieses Thema gehört dazu.

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